Suizidales

Es wird gern als egoistisch bezeichnet, sich selbst aus dem Leben zu werfen, dabei ist es ebenso egoistisch weiter leben zu wollen. Andererseits, wenn man sein eigenes Leben wegwirft, gibt man allen Menschen der Lächerlichkeit preis, die sich regelrecht einen Arm abgebissen haben, um zu überleben. Die Menschheit ist voll mit Geschichten, die vom ungeheuren Überlebenswillen zehren. Und hier ist einer, dem das alles egal ist. Es hat nichts geholfen zu überleben. Gestorben wird ohnehin. Es hatte auch keinen Grund auf die Welt zu kommen. Und dann schlägt man die Zeit tot. Manche schlagen sich gegenseitig tot. Und dann kann man sich auch gleich selbst tot schlagen. Nichts davon ist letztlich von Bedeutung. Wofür lebt man überhaupt? Spaß? Freude? Lust? All das wurde längst für obsolet erklärt. Es gilt nur noch Leistung, Wettbewerb und Gewinn.

Die Schwierigkeit beim Ableben ist vornehmlich darin begriffen, dass völlig unklar ist, wie man damit beginnen soll. Soll ein letzter großer Kredit aufgenommen werden und damit eine teure Reise in ein Luxushotel unternommen sein? Und am letzten Reisetag, dann die Schlaftablettenüberdosis. Punktgenau. Aber trostlos. Man hätte sich genausogut im heimischen Bett dem blanken Nichts übergeben können. Das ist weniger kalt und verzweifelt. Um die Angehörigen nicht zur Verzweiflung zu bringen, sollte es vielleicht eher wie ein Unfall aussehen. Als Trottel aus der Welt stolpern, – das hätte Charme. Niemand kann darüber böse sein. Man könnte auch einen Killer engagieren, der einen um die Ecke bringt. Aber das klappt nur in dümmlichen Filmen. Und verwirkt zudem in der Regel auch das Leben des Killers. Das wäre tatsächlicher Egoismus und Größenwahn in einem. Wenn die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben so groß geworden ist, dass man sogar die Gefahr einer viel schlimmeren Existenz nach dem Leben ignoriert, kann man vielleicht auch einfach die Geduld finden und auf ein natürliches Ableben warten? Aber wer hat die Zeit dafür? Das kann ewig dauern. Bei dem jetzigen Gesundheitsstandard häufig diverse Jahrzehnte. Was soll in dieser Zeit getan werden? Man kann kein altes Leben beenden, kein neues Leben anfangen, wechseln geht auch nicht. Man steckt fest, wie bestellt und nicht abgeholt.

Ich wüsste nicht wohin ich reisen sollte, wen ich besuchen sollte, mit wem ich reden sollte oder was ich sagen sollte. Es gibt niemanden zu küssen, zu begrüßen oder zu bedenken. Es fällt mir nicht ein, wozu ich aufstehen soll oder was ich essen soll. Es gibt keinen Grund den Tag zu beginnen oder ihn zu beenden. Etwas zutun ist genauso wie etwas nicht zutun. In der Regel lohnt es sich nicht, überhaupt etwas zu denken oder zu empfinden. Jede Regung wird hinterher meist sowieso bedauert, weil sie missverstanden wird, weil sie unzureichend ist, weil sie dumm ist, weil sie Kummer bereitet, weil sie nicht von Belang ist und enttäuscht, schmerzt, anwidert, gänzlich lächerlich ist. Niemand erinnert sich an einen oder irgendwas. Und wenn doch, dann eher so als würde man sich daran erinnen, dass man noch den Müll rausbringen muss. Nichts was je gesagt wurde, war von Bedeutung. Die eigenen Taten geraten in Vergessenheit. Sicher, das ist nicht immer schlecht, aber was sagt das über die Taten? Warum hat man sie überhaupt ausgeübt? Weil es sich nicht verhindern lies oder weil man es wirklich wollte? Ich wüsste nicht, wer ich vor 5 Jahren oder 5 Tagen war. Alles was ich mal war, ist längst weg. Und was ich gerade werde, ist so bestimmbar, wie das, was ich in der Pubertät war. Wenn man nichts über sich sagen kann, was ist man dann? Es gibt keinen Grund zu leben bei dieser Eigenschaftslosigkeit. Das Leben passiert, wie eine Naturkatastrophe oder Durchfall. Shit happens. Daher versteht es sich von selbst, das eigene Ableben zu forcieren, wenn man erstmal verstanden hat, dass es sich sowieso nicht lohnt sich weiter zu quälen. Es hat keiner auf einen gewartet: Warum sollte man dann selber auf das Ableben warten? Die Ackerei im Job für irgendwas, hat sich doch sowieso nie ausgezahlt und wird sich ehrlicherweise auch niemals bezahlt machen. Man zahlt nur damit, dass man immer stärker ruiniert wird. Sozial, kulturell, intellektuell, körperlich und seelisch. Am Ende wird nur wieder verlangt, zum hundersten Mal den üblichen beruflichen Schrott auszuüben, der einen überhaupt erst deprimiert und entleert hat. Das was man heute Leben nennt, ist die Wiederholung der immergleichen Verausgabung im Rahmen des Arbeitsplatzes. Die Pseudo-Persönlichkeit hängt dem so an, wie es im Körper beim Blinddarm der Fall ist. Das erzwingt geradezu die massenhafte Unfähigkeit das Leben auszukosten.

Es war egoistisch ein Kind zu zeugen, schließlich hat man es nicht gefragt, ob es überhaupt leben wollte. Wobei leben hier sicherlich ein überstrapazierter Begriff ist, wenn man nur lebt, um zu arbeiten. Und wenn das Kind dann sterben will, weil es alles zu Genüge getestet, gesehen und ertragen hat, bekommt es zu hören, es soll mal nicht so egoistisch sein und sterben wollen, nur weil es überhaupt keine Rolle als selbstzweckhafter Mensch spielt. Was sollen die Leute denn denken und die Verwandten empfinden? „Nichts, wie immer!“, könnte man antworten. Und all der Schmerz, den man angeblich verursacht! Die Leute ignorieren problemlos das Absaufen von Menschen in Hoheitsgewässern, aber wenn sich einer aus der eigenen Sippe raushalten will, entdeckt man plötzlich soetwas wie Empfindungen? Dabei waren die Gedanken und Taten zu den  Lebzeiten des eigenen Zöglings immer gänzlich egal. Der sollte gehorchen und wenn dieser das nicht geflissentlich tat, und an die eigene Angepasstheit und Verkommenheit erinnerte, war dieser ein Unhold, der absichtlich das Unglück herausforderte. Doch tatsächlich stellt man solche Bedingungen, Regeln, Forderungen und dergleichen auf dem Boden diverser Leichen auf, die stets auf Grundlage des eigenen modernen Zivillebens entstehen. Die Brutalität der Zwischenmenschlichkeit kennt keine Grenzen und wird permanent normalisiert. Es gibt keinen Grund sich Tag für Tag ansehen zu müssen, wie die Menschen wider besseren Wissens sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Der Selbstmord ist die letzte Gnade, die man sich selbst erweisen kann. Es ist glatt ein humaner Akt für die Menschlichkeit, nur eben leider ausschließlich gegenüber sich selbst. Aber das liegt in der Natur der Sache.

Wenn man also genauer darüber nachdenkt, ist es im Prinzip sehr leicht, lebensmüde zu sein und der Müdigkeit in einen langen, unendlichen Schlaf zu folgen. Was einen abhält, ist maximal die Ungewissheit, dass es aus irgendeinem unbestimmbaren Grund vielleicht doch noch anders werden könnte. Aber das ist eine irrationale Hoffnung, die noch nie eingetreten ist. Und man hat mit jedem weiteren Lebensjahr tausende Minuten voll mit Erfahrungen, die einem zeigen, warum das nie eintritt, die einem beweisen, dass es nie anders werden wird, sondern immer nur schlimmer! Es ist nur eine Frage der Zeit bis man kapituliert und sich eingestehen muss, dass die Welt nunmal ein brennender Scheiterhaufen ist, wo man sich als Einzelperson nur den Platz darauf suchen kann, der am wenigsten brennt, blutet und vor Schmerzen schreit. Nichts wird gut werden. Kein Wort wird ausreichen dagegen anzugehen. Niemand wird jemals zuhören. Nichts wird das Leid jemals lindern. Und diejenigen, die behaupten, es würde schon noch werden, oder sie würden tatsächlich zuhören oder irgendwas wissen, sind in der Regel absolute Heuchler, die ihre eigene Verlogenheit und Verkommenheit nicht aushalten oder kultivieren ihre Lust an der modernen sozialen Katastrophe. Zumeist leiden sie selbst an psychischen Erkrankungen und rationalisieren ihren Irrationalismus auf besonders verbissene Weise, sodass sie ihre eigenen Lügen oder Verklärungen glauben.

Wahrscheinlich ist es zynisch, so zu denken und gleichzeitig ist es der Zynismus der Sache, der Verhältnisse, der Art und Weise, wie Menschen leben, denken und empfinden. Eingestehen wollen es sich die wenigsten. Letzteres würde Revolution oder Suizid erzwingen. Mindestens aber Weigerung, Sabotage und Streik. Die zerstörerische Qualität des Alltagslebens wird an irgendwelche Sündenböcke delegiert und abgespalten von der eigenen, persönlichen Lebensrealität und Verantwortung. Tatsächlich gehört zum Suizid auch eine gehörige Portion Mut. Es ist nämlich einzusehen, dass man falsch lebt und es keine Lösung darauf gibt. Das eigene Unglück mehrt sich mit jedem Arbeitstag. Jede Berufsgruppe ist durchsetzt vom Profitwahn. Es gibt seit Jahrzehnten in keinem Erdteil auch nur einen Funken von Widerstand dagegen, der seinen Namen verdient. Es gibt immer nur Phrasen, Ressentiments, Unzulänglichkeiten, Eitelkeiten und denselben alten Wein in neuen Schläuchen, wie es im Politik- und Kapitalbetrieb immer üblich gewesen ist. Es gibt keine Solidarität. Es gibt keine Freundschaft. Es gibt keine Rettung. Alles ist der Surplusmacherei übergeben. Die einzigen, die überhaupt eine Chance auf ein erträgliches Leben haben, sind die Reichen. Aber auch die müssen ihren Reichtum mit dem Blut der anderen bezahlen, die nicht so reich sind. Somit ist über die Milliarden Akte der Menschheit jeden Tag ein Stückchen weiter das Glück abgeschafft worden. Daher gibt es sogar sehr guten Anlaß depressiv und lebensmüde zu sein.

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